Altes Gymnasium Bremen

Jugend regiert

Eine Diskussion steht an. Michael Roth (SPD), Staatsminister des Auswärtigen Amts für Europa, spricht mit dem Plenum über Syrien, Griechenland, die Wahl in den USA, den Brexit, die Flüchtlingskrise. Sie beschäftigt die Jugendlichen besonders – auch Jürning, der als Präsident im Saal für Ordnung sorgen muss. Er fürchte, dass Deutschland in Europa am Ende allein stehen könne mit dem „Wir schaffen das“. Roth verurteilt, dass inzwischen auch in Deutschland der „Unsinn“ von Mauern und Obergrenzen aufgekommen sei. Die Zeit drängt. Es geht zur nächsten Frage. Jürning bestimmt mit, wer sie stellt.

Staatsminister Roth ist der Termin im Jugend-Parlament wichtig: „Wir brauchen euch!“ Leon Jürning will Entscheidern wie ihm dagegen zeigen, dass Jugendliche eben nicht politikverdrossen seien. Im vergangenen Jahr kam Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Ansonsten will der Schüler realistisch sein: Auch wenn es großartig sei, dass das Europäische Parlament die von ihnen verabschiedeten Resolutionen zugeschickt bekäme – die Politik beeinflussen könnten sie nicht.

17 Schulen nehmen am Projekt teil. Vor allem sei es für die eigene Entwicklung wichtig, sagt Jürning. Los ging es für ihn und seine Mitschüler als Abgeordneter in der Bremer Bürgerschaft. Er setzte sich gegen andere durch, fuhr als Delegierter nach Berlin, dann als Vorsitzender eines Ausschusses, nun als Präsident. In diesem Jahr sind neben sieben Jugendlichen seiner Schule zwei Schüler des Alten Gymnasiums dabei. Neben Fleiß und Interesse sei Mut entscheidend, in der imposanten Kulisse des Bundesrats zu sprechen, sagt er.

Nach einer zweiten Diskussion geht es rüber zum Mittagessen ins Bundesfinanzministerium. Jürning löst seine Krawatte etwas. Ein Schokoriegel als Dessert muss sein. Gleich geht der Marathon weiter. „Man schläft wenig, aber das ist es wert.“ Bis vier Uhr nachts habe er damals als Delegierter an seiner Rede gearbeitet.

Die Abläufe sind anstrengend. Nicht nur äußerlich – mit Anzug, Kostüm, sogar mit Einstecktuch – versetzen sich die Jugendlichen in ihre Rolle. Engagiert haben sie in Ausschüssen Positionen vorbereitet. Jürning ermahnt und dirigiert mit: „Zu genau diesem Punkt: Polen.“

Der 18-Jährige hat schon an einem ähnlichen Projekt der Vereinten Nationen in Den Haag teilgenommen. Er könne sich vorstellen, Politiker zu sein, derzeit am ehesten im linken Flügel der SPD. Aber er will sich nach seinem Abitur im Sommer eine Auszeit nehmen. „Politik macht man nicht eben so.“ Am Ende könne sie auch frustrierend sein, wenn die Arbeit keine Zustimmung finde: Das Papier zur Flüchtlingsfrage etwa wurde abgelehnt. Die Delegierten mussten die Haltung ihrer Staaten einnehmen. Auf eine bessere Verteilung und Integration konnten sie sich nicht einigen. Die nächste Resolution steht an. Viele haben ihre Blazer abgelegt. Der Raum ist für den Dresscode zu warm. Es geht um benachteiligte Jugendliche. Eine harsche Gegenrede wird dem Vorstoß entgegenwehen. Die Begriffe „utopisch“, „realitätsfern“ und „Inkompetenz“ kommen darin vor. Am Ende wird das Plenum der Resolution jedoch zustimmen und applaudieren. Davon weiß noch niemand, als wieder der Gong ertönt und Jürning die Sitzung eröffnet. „Estland, Sie haben das Wort.“

Lisa Boekhoff (Weser-Kurier) ... 23.02.2016

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