Salafisten bewegen sich häufig im Umfeld von Schule. Im Internetzeitalter bedeute dies aber längst nicht, „dass ein bärtiger Mann auf dem Schulhof steht und Zettel verteilt“, sondern sei eher als regelmäßiger Treffpunkt und Ort des Austauschs zu verstehen, sagte Hazim Fouad am Alten Gymnasium. Woran sich erkennen lasse, dass sich jemand radikalisiere und was dann konkret zu tun sei, wollten einige aus der Runde wissen. Außerdem gab es Fragen zum Umgang mit streng gläubigen Eltern, die ihre religiösen Vorstellungen im Schulalltag berücksichtigt sehen wollten. Hier fehle es an einheitlichen Leitlinien: „Wir fühlen uns damit allein gelassen von der Bildungsbehörde“, betonte eine Zuhörerin mehrfach, und eine andere wollte wissen, was es bedeute, wenn ein Kind zum anderen sage: „Du bist eine Ungläubige!“
Mit konkreten Handlungsempfehlungen hielt sich der Islamwissenschaftler zurück. Das sei Sache der Beratungsstellen, von denen es in Bremen immer noch zu wenig gebe, merkte er kritisch an. Genau genommen sei es nur eine, besetzt mit zwei Mitarbeitern, die sich eine Stelle teilten. Hazim Fouad beschränkte sich darauf, den Eltern und Lehrern in seinem Vortrag Hintergrundwissen über balafismus zu vermitteln.
Wie bei allen religiös fundamentalistischen Weltanschauungen, seien insbesondere drei Merkmale kennzeichnend: die wortwörtliche Auslegung religiöser Quellen, das Beharren auf einen absoluten Wahrheitsanspruch und davon abgeleitete Feindbilder. Salafisten orientierten sich einzig und allein am Glauben und Praktiken der ersten drei Generationen von Muslimen und begriffen sich selbst dabei als „die einzig wahren Gläubigen“. Auf diese Weise grenzten sie sich auch gegenüber liberalen Vertreterinnen und Vertretern des Islams ab: „Alle Traditionen, die nicht auf den sogenannten Ur-Islam zurückzuführen sind, werden abgelehnt. Sie sind die beste Gemeinschaft von Menschen, die je existiert hat“, spitzte Hazim Fouad das Ganze zu. Die Bezeichnung „Ungläubige“ werte andere Menschen ab, und deutlich werde auch: Wer davon überzeugt sei, dass sämtliche Regeln für das Zusammenleben bereits seit Jahrhunderten Bestand haben, der habe Schwierigkeiten damit, anzuerkennen, dass Rechtsgrundsätze neu formuliert werden können.
Besonders attraktiv für manche Jugendliche sei nun, fuhr Hazim Fouad fort, dass sie mit einer solchen Haltung gegen ihre Eltern und gegen die Gesellschaft protestieren könnten. Schon der Satz „Ich bin nicht Charlie Hebdo!“ eigne sich ja als Provokation. Der Salafismus sei daher durchaus als eine Form von Jugendkultur zu verstehen, dessen „Codes und Insignien die In- und die Out-Group“ kennzeichneten. Über lange Haare funktioniere das nicht mehr.
Herkunft oder sozialer Status spielten in einer solchen Gruppe keine Rolle, denn aufgenommen werde jeder, der die Glaubenssätze akzeptiere – „unabhängig von Nationalität, Hautfarbe oder Muttersprache“. Im Gegenzug werde das Gefühl von „moralischer Überlegenheit“ vermittelt, was besonders anziehend auf Außenseiter wirke. Islamfeindliche oder fremdenfeindliche Äußerungen beispielsweise von Mitgliedern der Pegida, seien Wasser auf die Mühlen der Prediger. Zwischen den häufig fließend Deutsch sprechenden und sehr charismatischen Persönlichkeiten herrsche aber auch durchaus eine gewisse Konkurrenz: „Wenn mir nicht gefällt, was der eine sagt, gehe ich eben zum nächsten.“ Wie in einem Selbstbedienungsladen könne sich so jeder sein Islamverständnis selbst zusammenstellen, sich aber in jedem Falle sicher sein: „Keine Frage ist zu dumm, es gibt auf alles eine Antwort.“
Inhaltlich gehe es da nicht zwangsläufig immer um Religion, gab Hazim Fouad zu bedenken. „Aufgegriffen werden politische und soziale Missstände und aktuelle Themen, für die sich junge Menschen interessieren, wie beispielsweise die Flüchtlingsarbeit.“ Das zeigten mmer wieder auch die Internetvideos, in denen längst nicht nur heroische Feldzüge dargestellt würden, sondern der „Gottesstaat“ als ein wohlgefälliges Leben in der Gemeinschaft Gleichgesinnter propagiert werde. „Es gibt durchaus Parallelen zu politisch links verorteten Diskursen und einer anti-imperialistischen Logik“, erscheint es dem Verfassungsschützer.
Nähere Informationen für Eltern, Angehörige und Betroffene in der Auseinandersetzung mit Islamismus gibt es auf den Internetseiten des Beratungsnetzwerks Kitab (vaja- bremen.de/teams/ kitab), das aktuell auf längere Wartezeiten für Beratungstermine hinweist.
Christiane Mester ... 17.03.2016